Sa. 07. Nov. 20, TG-Zeitung Interview: Sabrina Manser
Sie fördert Thurgauer Fussballerinnen: Silvia Heeb. Der beste Kicker für sie ist Cristiano Ronaldo und die beste Kickerin Lara Dickenmann.
Seit bald 30 Jahren sind Sie Fussballtrainerin, seit zwei Jahren im Vorstand des Thurgauer Fussballverbandes (TFV). Der Verband feierte dieses Jahr sein 100-Jahr-Jubiläum.
Silvia Heeb: Es stimmt mich traurig, dass wir diesen Anlass wegen Corona nicht feiern konnten. Leute, die in den Anfangszeiten mitgemacht haben, wären dabei gewesen, auch wären Turniere für Mädchen geplant gewesen. Bei diesem Anlass wäre es auch um Wertschätzung gegangen.
Was hat sich in den zwei Jahren, in denen Sie die Verantwortliche für Mädchen- und Frauenförderung sind, verändert?
Ich glaube, dass in den Vereinen eine andere Wahrnehmung da ist, weil sich jetzt jemand dem Thema Mädchen- und Frauenförderung annimmt. Ausserdem gibt es Anlässe wie den «TKB-GirlsDay», bei dem Mädchen unter sich Fussball bei Spiel und Spass ausprobieren können. Der Anlass findet grossen Anklang. Zudem können wir talentierte Mädchen frühzeitig ins Stützpunkttraining aufnehmen.
Wie schaffen Sie es, Mädchen fürs Fussballspielen zu begeistern?
Ein wichtiger nächster Schritt ist es, dass man alle Vereine an einen Tisch bringt. Wir müssen schauen, dass wir alle am selben Strick ziehen. Jetzt sind die Vereine noch eher Einzelkämpfer.
Wo liegt die grösste Schwierigkeit bei der Mädchenförderung?
Wir müssten sie schon im Kindergartenalter erreichen. Dann suchen die Eltern nach möglichen Hobbys für ihre Kinder. Dass auch Mädchen Fussball spielen könnten, ist bei vielen Eltern gar keine Option. Das müssen wir ändern.
Wie wollen Sie das erreichen?
Die Ideen sind noch vage. Der Schweizer Fussballverband (SFV) versucht beispielsweise mit Disneythemen, die Mädchen für Fussball zu begeistern.
Wie kann man sich das vorstellen?
Der SFV möchte im nächsten Jahr das Projekt der UEFA PlayMakers auch in der Schweiz einführen. Es geht darum, dass Mädchen durch die Figuren von Walt Disneys «Die Unglaublichen 2» den Einstieg in den Fussballsport finden. Für Mädchen muss man den Sport anders verpacken als für Buben.
Was ist denn der Unterschied?
Jungs wollen im Fussball unbedingt gewinnen und die Besten werden. Mädchen sind sozial und wollen mit ihren Kolleginnen zusammen sein. Es geht ihnen um Vielfalt im Training wie koordinative und spielerische Elemente.
Welche Thurgauer Clubs sind in der Mädchenförderung voraus?
Noch keiner. Es gibt ein paar Vereine, die einzelne Mädchenmannschaften haben. Ziel ist es, dass jedes Frauenteam auch in jeder Alterskategorie Juniorinnen führt. Optimal wären zwei Teams pro Kategorie – eines für die stärkeren, eines für die schwächeren Spielerinnen. Um das zu erreichen, müssen wirklich alle Vereine im Kanton zusammenarbeiten.
Da es zu wenig Mädchenteams gibt, trainieren die Mädchen bei den Buben?
Solange die Mädchen noch jünger sind, ist das kein Problem. Sobald die Mädchen in die Pubertät kommen, sind die Interessen anders und zudem sind die Mädchen reifer. Es passiert oft, dass sie mit dem Fussball aufhören, da es keine optimale Anschlusslösung gibt. So gehen Mädchen verloren.
Und bei der Nachwuchsförderung bei den kleinen Juniorinnen?
Dort gelten die Mädchen als Einzelkämpferinnen: Sie sind zum Beispiel alleine in der Garderobe. Sie erleben den Teamgeist, den der Fussball ausmacht, viel weniger. Auf dem Platz funktioniert es gut. Der SFV will, dass Mädchen möglichst lange bei den Jungs mitspielen. Wegen des grösseren Widerstands werden die Mädchen viel mehr gefordert.
Was meinen Sie mit grösseren Widerstand?
Jungs spielen aggressiver. Das bedeutet, dass sich die Mädchen anpassen müssen. Sobald man mehr Druck hat, wird man automatisch besser. Die Mädchen gehen dann beispielsweise anders in einen Zweikampf, lernen das schnelle Spielen. Mädchenteams funktionieren anders: Sie suchen das schöne Spiel und nach intelligenten Lösungen.
Sind Sie gleicher Meinung wie der Schweizer Verband?
Ja, das bin ich. Aber ich finde auch, dass sich die Mädchen wohlfühlen müssen. Es gibt Juniorinnen, die sich in Mädchenteams besser entwickeln.
Warum braucht es mehr Frauenmannschaften, wenn Mädchen in Bubenteams weiterkommen?
Es braucht mehr Mädchen, um für die Spitze eine gewisse Breite zu haben.
Ist es für Frauen schwieriger, an die Spitze zu kommen?
Eigentlich ist es einfacher, da sie weniger Konkurrenz haben. In der Schweiz gibt es aber bei den Frauen keinen Profibetrieb. Deshalb ist es für Fussballerinnen unmöglich, in der Schweiz vom Sport zu leben. Deshalb arbeiten sie nebenbei. Oder sie gehen ins Ausland, wo es eher Strukturen und Möglichkeiten gibt.
Frauen sind also auch im Fussball weniger wert?
Den Fussball der Frauen kann man nicht gleich gut vermarkten wie den der Männer. Zudem sind die Strukturen in den Vereinen sehr amateurhaft. Für einen nächsten Schritt müsste man viel Geld investieren. Grossklubs fokussieren sich auf die Männer.
Es gibt Unterschiede zwischen Mann und Frau?
Männer- und Frauenfussball soll und darf nicht miteinander verglichen werden, es sind zwei verschiedene Sportarten. Allein schon die körperlichen Voraussetzungen sind verschieden. Männerfussball ist viel dynamischer. Frauen versuchen, gepflegten Fussball zu spielen, indem sie technisch und taktisch sauber arbeiten.
Nebst dem Vorstand im TFV sind Sie auch Fussballtrainerin.
Damit kann ich den Kindern meine Begeisterung und Leidenschaft vermitteln. Zudem ist es schön, dass ich jungen Menschen helfen kann, Träume zu verwirklichen. Die Kinder sind noch so freudig und voller Hoffnung. Sie merken aber auch, dass sie abliefern müssen, um etwas zu erreichen.
Wann haben Sie den Fussball für sich entdeckt?
Ich habe als Kind in der Familie mit meinem Bruder Fussball gespielt. Damals gab es noch keine Juniorinnenmannschaften. In der dritten Oberstufe bin ich dann in einen Verein eingetreten.
Spielen Sie jetzt noch?
Jetzt nicht mehr. Ich würde aber gerne zwischendurch.
Was fasziniert Sie am Fussball?
Die Mischung macht es: Auf dem Platz will man etwas erreichen. Während 90 Minuten geht es darum, zu kämpfen, Fehler auszubügeln und Tore zu schiessen. Und nach dem Spiel kommt das Gesellige.
Wer ist in Ihren Augen die beste Fussballerin?
Lara Dickenmann. Sie hat in der Nati gespielt und eine wichtige Rolle im Team übernommen. Sie war sich nie zu schade, alles zu geben. Zudem ist sie trotz des Erfolges auf dem Boden geblieben.
Und der beste Fussballer?
Cristiano Ronaldo. Er investiert so viel, um solche Leistungen zu bringen. Er macht weiter ohne Pause und strebt nach Perfektion. Ich bewundere ihn, weil er alles für den Fussball gibt.
Haben Sie ein Vorbild?
Ja, Martina Voss-Tecklenburg. Sie war die Trainerin der Schweizer Nationalmannschaft und ist es jetzt bei der Deutschen. Sie ist sehr fokussiert und zielorientiert. Trotzdem hat sie eine grosse Nähe zu den Spielerinnen.
Zur Person:
Die 51-jährige Silvia Heeb ist gelernte Chemielaborantin. Sie hat schon als Reiseleiterin und auf dem Büro gearbeitet. Die Thurgauerin ist seit bald dreissig Jahren Fussballtrainerin. Im Vorstand des Thurgauer Fussballverbandes ist sie seit zwei Jahren die Verantwortliche für die Mädchen- und Frauenförderung. Aufgewachsen ist Heeb in Märwil. Heute lebt sie mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in Wetzikon.