Der Frauenfussball entwickelt sich, mit dafür zuständig ist Silvia Heeb im Vorstand des Thurgauer Fussballverbands. Aber sie gibt zu bedenken, dass immer noch die Perspektiven für die Spielerinnen fehlen.

Janine Bollhalder & Svenja Rimle 31.10.2019, Bilder und Text: Thurgauer Zeitung-Online 

Sie ist die Henne im Korb: Gentina Canolli. Die 13-jährige Amriswilerin will Profifussballerin werden. Um diesem Ziel näher zu kommen, trainiert sie an der Sportschule Bürglen in der Mannschaft der Jungs, denn:
«Die besten Mädchen spielen mit männlichen Teamkameraden.»
Silvia Heeb, die Trainerin der Mannschaft von Canolli, hat selbst jahrelang Fussball gespielt. Sie sagt: «Zu meiner Zeit stand der Frauenfussball noch ganz am Anfang. Ich war froh, überhaupt Fussball spielen zu dürfen.» Sie will nun dafür sorgen, dass Frauen und Mädchen in Zukunft genauso gefördert werden, wie die Buben und Männer.
Die 50-jährige Silvia Heeb ist seit dem vergangenen Jahr im Vorstand des Thurgauer Fussballverbands für die Förderung der Spielerinnen zuständig. Sie ist Mutter dreier Kinder, die ebenfalls Fussball spielen. Ihr Ehemann ist auch fussballbegeistert und ebenfalls Trainer einer Aktivmannschaft.
Dass der Frauenfussball aber noch einen langen und steinigen Weg zu bewältigen hat, zeigt Gentina Canolli mittels eines eigenen Erlebnisses. Sie erzählt:
«Meine Mutter war alles andere als begeistert, dass ich Fussball spielen wollte.»
Es sei nicht der richtige Sport für ein Mädchen, lieber solle sie tanzen oder reiten.
Angefangen hat sie im FC Amriswil, in einer Mädchenmannschaft. Schnell hat sie sich verbessern können und den Einzug ins Nachwuchsförderteam geschafft. «Als meine Mutter gemerkt hat, dass ich gut bin und es ernst meine, hat sie meine Entscheidung akzeptiert.»
Mädchen spielen Fussball auf eine andere Weise
Dafür, dass Frauenfussball noch nicht dieselbe Achtung geniesst wie bei den Männern, gibt es mehrere Gründe:
Für Frauen ist es schwieriger, an die Spitze zu kommen. Silvia Heeb sagt:
«Die Trainer sind es sich nicht gewohnt, die Leistungen eines Mädchens richtig einzuordnen.»
Die Buben spielen anders, erklärt sie. «Mädchen spielen viel mehr im Team, ihre Kollegen jedoch spielen ich-bezogener.» Und wenn ein Mädchen gut spielt, werde sie gerne von den Trainern in der Mannschaft behalten, um diese erfolgreich zu halten.
Das Hobby Fussball beinhaltet viel Koordination und Krafttraining. Muskelaufbau im Zeitalter des Schlankheitswahns? «Ein muskulöser Frauenkörper ist doch schön», sagt Silvia Heeb. Gewisse frauliche Eigenschaften des Körpers sind es aber auch, die für Spielerinnen mühsam werden können. Heeb beobachte oft, dass Mädchen unsicher werden, sobald sie Brüste bekommen.
«Auf dem Feld stört es mich nicht, wenn die Buben mir im Spiel nahekommen», sagt Gentina Canolli. Über die Veränderung ihres Körpers habe sich die junge Kosovarin bisher allerdings noch keine Gedanken gemacht. Nun scheint sie jedoch für einen kurzen Moment unsicher.

Unangenehm sei es für die Mädchen jeweils auch, viel alleine zu sein. «Auf dem Feld werde ich von meinen Teamkollegen nicht anders behandelt», sagt Canolli.
Sie werde gleich geschubst, angespielt und nach einem Tor bejubelt wie die Buben. In der Umkleide ist sie dann aber alleine. Witze unter den Teamkollegen bekommt sie nicht mit, ebenso wenig die verbindenden Gespräche in der Kabine. Manchmal gäbe es auch gar keine Umkleide für die vereinzelten Mädchen, die in den Bubenteams spielen. Heeb sagt:
«Dann kommt es vor, das sie sich in der Toilette umziehen müssen.»
Gentina Canolli steckt sehr viel Zeit in ihre Leidenschaft, das Fussballspielen. «Ich stehe um halb sieben auf und das Training ist abends um halb acht zu Ende», sagt sie. Viel Zeit für andere Hobbys bleibt da nicht. Wenn Sie aber mal Zeit hat, spielt Canolli gerne Klavier, zeichnet oder geht spazieren.

«Alle Mädchen, die so viel Aufwand für ihr Hobby betreiben, haben den Traum eines Tages im Ausland zu spielen», sagt Silvia Heeb. Denn die Aussicht auf eine Karriere in der Schweiz ist gering und davon leben zu können, ist gar nicht möglich. «In der Schweiz müssen alle Fussballerinnen einer geregelten Arbeit nachgehen», sagt Heeb, «denn sie bekommen höchstens etwas an die Spesen.»
Sie könnte sich auch selbst vorstellen, einige Zeit als Trainerin im Ausland zu arbeiten, um deren Professionalität in die Schweiz einfliessen lassen zu können. «Beim Frauenfussball in der Schweiz fehlt eindeutig die Perspektive. Darum entscheiden sich viele junge talentierte Frauen für den Amateurbereich», merkt sie an. Wie man das ändern könnte?
«Die Grossclubs müssten endlich Geld in die Frauenabteilungen stecken, damit der Frauenfussball professioneller gefördert werden kann und für die Fussballerinnen perspektive Rahmenbedingungen geschaffen werdne können.»
Ein Problem bleibt aber noch: «Selbst als Frauenfussballerin schaue ich öfters den Männern zu, als den Frauen», sagt Gentina. Wieso? «Mein Vater und Bruder schauen es halt. Und wenn ich mich mit meinen Freundinnen zum Fussballschauen treffe, beurteilen wir die Männer nach ihrem Können.» – Natürlich aber auch nach dem Aussehen. Gentinas Favorit ist Lionel Messi.
Verschiedene Wege zum Ziel
Der Thurgauer Fussballverband hat das Ziel, mehr Mädchen für Fussball zu interessieren. «Es gibt wenige Mädchen in diesem Sport und daher auch wenige Talente», sagt Silvia Heeb. Sie ist seit einem Jahr im Vorstand des Fussballverbands für die Frauenförderung zuständig. «Zweimal im Jahr organisieren wir den ‹Girls Day›», sagt sie. Ihre Idee sei es gewesen, dass Mädchen im Alter von 9 bis 13 Jahren zusammen Fussball spielen können. Der Anlass habe bisher grossen Anklang gefunden.
Für fussballbegeisterte Mädchen gibt es kaum professionelle Perspektiven in diesem Sport in der Schweiz. Die besten Spielerinnen schaffen es aber ins Ausland, wo sie sich eine Karriere aufbauen können. Heeb kennt mögliche Wege zu diesem Ziel: «Das Sportler-KV etwa oder auch die PMS-Sportlerklasse vereinbaren das Fussballspielen mit der Ausbildung.»