„Jedes Mädchen zählt“
Zum 100-Jahr-Jubiläum des Fussballverbandes erzählt der Präsident von Meilensteinen und der Faszination.
TG-Zeitung, Mi. 21. Oktober – Larissa Flammer
«Fussball war verpönt.» Als im Jahr 1920 sechs Klubs den Thurgauer Fussballverband gründeten, wurde dieser vom Schützen- und vom Turnverband komisch angeschaut. Und das blieb jahrzehntelang so, weiss Patrick Küng, Präsident des Fussballverbands. Seit Ende der 80er-Jahre veränderten zwei Meilensteine den Fussball im Thurgau und sorgten dafür, dass der Verband nun, da er sein 100-Jahr-Jubiläum feiert, längst nicht mehr belächelt wird. 86 Männerteams, 9 Frauenteams, 21 Plauschteams, 10 Mädchenteams und ganze 264 Juniorenteams gibt es im Thurgau gemäss aktueller Statistik. Warum ist der Sport dermassen beliebt? «Fussball ist die Einstiegssportart Nummer 1», sagt Küng. Es ist eine der billigsten Sportarten, weil kaum Ausrüstung benötigt wird und die Jahresbeiträge der Vereine tief sind. Fussball ist zudem weltweit bekannt. Und: Es ist ein sozial wertvoller Sport. «Was man in einer Mannschaft lernt, kann man auch später immer brauchen. Das sehe ich auch als Lehrer», sagt Küng. Bei den Spielen der Junioren bis zehn Jahre gibt es keine Schiedsrichter, die jüngsten Fussballer lernen so selbst Fairplay. Küng sagt: «Für die Kinder ist das kein Problem, für die Eltern schon.» Fussball weckt eben auch unglaubliche Emotionen. Jeder glaubt, ein Trainer zu sein. Diese Begeisterung der Bevölkerung begeistert auch den Präsidenten: «Deshalb investiere ich Zeit in den Verband.» Ganz ohne Nachwuchssorgen sind jedoch auch die Fussballer nicht. «Die Individualisierung der Gesellschaft ist ein Problem. »Ab einem gewissen Alter entdecken viele Buben und Mädchenandere Sportarten, bei denen sie sich nicht in den Dienst einer Mannschaft stellen müssen.
Juniorenförderung und Sportschule
Der Nachwuchs ist heute ein zentraler Punkt des Thurgauer Fussballverbands. Bis in die 80er-Jahre war es die einzige Aufgabe des Verbands, die Thurgauer Meisterschaften zu organisieren. Deshalb wurde er 1920 überhaupt gegründet, weil es bei den damals bereits bestehenden Fussballvereinen immer wieder Streit über die Meisterschaft gab. 1989 baute der Verband die Juniorenförderung auf: der erste Meilenstein. Die Juniorenabteilungwuchs, Kategorie um Kategorie kam dazu, und das Team Thurgau war geboren, für das sich die besten Nachwuchstalente im Kanton qualifizieren und das gegen andere Teams der Schweiz spielt. «Dann kam der Hammer», sagt Küng. Der Schweizer Verband wollte die Nachwuchsförderung professionalisieren. Der Kantonalverband war gezwungen, zu reagieren, weil die eigenen Mannschaften sonst nicht mehr bei der nationalen Juniorenspitze hätten mittun dürfen. Es kam der zweite Meilenstein: Zusammen mit dem kantonalen Sportamt gründete der Fussballverband die Sportschule in Bürglen. «Es war ein Glücksfall für uns», sagt Küng rückblickend. Die Sportschule startete den Betrieb im Sommer 2002. «Sie ist ein super Partner für uns.» Der Thurgau hat also gute Voraussetzungen, um junge Fussballtalente zu fördern. Doch warum gibt es keinen national erfolgreichen Thurgauer Klub? «Ein wunder Punkt», gibt Küng zu. Doch es gibt gute Gründe. Einer: das liebe Geld. «Beim Fussball geht es schnell um Millionen.» Der dezentrale Thurgauer Wirtschaftsraum – mögliche Sponsoren – orientiert sich an St.Gallen und Winterthur/Zürich, sagt Küng. Einen grossen Verein, der den ganzen Kanton hinter sich vereinen kann, gibt es zudem nicht. Der Präsident sagt: «Der Verband hat nie die Gründung eines FC Thurgau angestrebt.» Schon im Nachwuchs orientiert sich der Thurgau an St.Gallen. Der Schweizer Fussballverband verlangt, dass alle Nachwuchsteams in einem Partnerlabel mit Mannschaften bis zur U21 sind. Allerdings können sich nur die grossen Klubs U21-Mannschaften leisten. Bis 2011 hat der Thurgauer Verband daher mit dem FC Zürich zusammengearbeitet, seit der Gründung des FutureChamps-Ostschweiz ist er in dessen Partnerlabel. Das ist okay, sagt Küng. Sein Verband ermöglicht jungen Spielern eine gute Basis. «Wer den Weg zum Profi nicht einschlägt, spielt dafür gut ausgebildet in den Thurgauer Vereinen.»
Eine Frau im Vorstand fördert die Fussballerinnen
Im Thurgau gibt es auch Mädchen- und Frauenteams – und das seit Jahrzehnten. Die Frauen des FC Weinfelden-Bürglen spielten 1984 sogar in der NationalligaA. Küng sagt: «Die Frauen haben erreicht, was Thurgauer Männer nie geschafft haben.» Und weiter: «Frauenfussball ist mir persönlich ein wichtiges Anliegen.» Im Vorstand des Thurgauer Fussballverbands gibt es mit Silvia Heeb auch eine Frau, die für die Mädchen- und Frauenförderung im Kanton verantwortlich ist. Mädchen werden jedoch viel weniger vom Fussball angezogen als Jungs. Der Verband versucht, mit dem TKB-GirlsDay jährlich Mädchen zu begeistern. «Die Breite ist das Problem», sagt Küng. «Jedes Mädchen zählt.» Hört eine mit dem Sport auf, kann das für ein Team das Aus bedeuten, wenn es zu wenig Spielerinnen hat. Der Verbandspräsident blickt beim Thema Frauenfussball nach Amerika, wo die Frauen Rekordweltmeisterinnen sind, die Männer jedoch international kaum eine Rolle spielen. In den USA wird Frauenfussball an den Colleges gefördert, Mädchen haben viele weibliche Vorbilder. «In der Schweiz sehen Mädchen, wie viel Fussballerinnen investieren müssen und dass sie trotzdem keinen Rappen verdienen.» In England könne die Frauenliga dank Fernsehgeldern profitabel betrieben werden. Küng erklärt das mit der Vermarktung. Langsam fällt auch in der Schweiz mehr Licht auf den Frauenfussball. SRF2 zeigte zum Beispiel jüngst das Saisonauftaktspiel der AXAWomen’s SuperLeague live im Fernsehen. Dass der Frauenfussball im Thurgau ernst genommen wird, zeigt unter anderem die Tatsache, dass der Verband ihm in der Jubiläumschronik ein eigenes Kapitel widmet. Die Vernissage am 13. November ist einer der wenigen Termine des Jubiläumsjahrs, der stattfinden soll. «Vieles ist wegen Corona ins Wasser gefallen», sagt Küng. «Es ist, wie es ist.» Schade findet er es vor allem für die Gründervereine Romanshorn, Frauenfeld, Arbon 05, Kreuzlingen und Amriswil (der FC Hauptwil wurde noch im Gründungsjahr 1920 wieder aufgelöst), die für das Jubiläumsjahr je einen Anlass geplant hatten. Zumindest das Legendenspiel gegen den FC Grosser Rat soll aber nachgeholt werden.